Folgender Beitrag stammt aus dem „Glidingbasel“, der Vereinszeitschrift der SGBF vom September 2013, und wurde von Markus Ritzi (t2020)verfasst. Da es sich hierbei um einen extrem lesenswerten Bericht handelt, haben wir uns entschlossen, diesen hier ein weiteres Mal in digitaler Form zu veröffentlichen.

Eine Fliegergeschichte von Leander Markus Ritzi

Die nachfolgend beschriebenen Ereignisse geschahen in längst vergangenen Zeiten, wo…

  • es noch keine GPS, Computer oder Rechner und Ähnliches gab.
  • man (speziell im Ausland) wirklich oft nicht wusste, wo man war.
  • man kein Radio oder keinen Funk hatte, auch nicht bei Schweizer- und Weltmeisterschaften.
  • die Flugzeuge noch aus Holz waren und der zerbrochene Rumpf (wie an der WM in Argentinien) in 2 Nächten wieder zusammengeklebt wurde.
  • der blaue Himmel grösstenteils uns gehörte und Wolkenflug erlaubt war.
  • es an der Schweizermeisterschaft lange nur EINE Klasse und folglich nur einen Schweizermeister gab.

Zweimal durfte ich unser Land an Weltmeisterschaften vertreten – 1963 in Argentinien und 1965 in England.

Markus Ritzi

Argentinien!

1963: Es war Februar – Winter in der Schweiz, der Zürichsee war mit dickem Eis bedeckt und das ganze Volk genoss diese Seegförni. Argentinien hatte satten, südlichen Sommer mit Temperaturen zwischen 30 und 40 Grad  und riesigen Thermikschläuchen und gewaltigen Gewittern.

In der Pampa Argentiniens waren wir drei Schweizer Piloten: Hausi Nietlispach, Ruedi Hächler und ich. Die Basler Skylark III hatte den langen Seetransport übers weite Meer heil überstanden und damit startete ich in der offenen Klasse mit ca. 50 andern Piloten. Ein riesiges Flugfeld bei der kleinen Stadt Junin, 250 km westlich von Buenos Aires in der unendlichen, flachen Pampa wurde unsere Basis, die Unterkünfte waren eher „romantisch“ in kleinen Schrebergarten-Häuslein. Ein grosser Hangar diente als Briefingraum, Essplatz und Bar. Für Junin, wo Evita Peron aufwuchs, bevor sie sich zur Staatsfrau emporheiratete, waren wir das einzige Ereignis der letzten und nächsten 50 Jahre, und dementsprechend wurden wir gefeiert! Mit Triumph-Fahrten durchs Städtchen, langen Asado-Parties und Tango-Nächten unter dem lauen Himmel der Pampa etc.

Unsere erste fliegerische Aufgabe war ein Rennen über 114 km mit der ganzen Meute. Massive Thermik bis 5000 m liess uns losbrausen und oh weh, als ich am Ziel – einem mittelgrossen (aber viel zu kleinen) Feld – ankam, war die ganze Wiese mit Flugzeugen übersäht und ich versuchte es am äussersten Rand und landete mit grossem Krachen in einem Sonnenblumenfeld – Rumpf abenand! Und neben mir lag Weltmeister Makula aus Polen ebenfalls in seinen Trümmern, ein schwacher Trost!

Der nächste WettkampftagTag wurde sistiert und am übernächsten durften wir beiden unsere Flugzeuge mit dem neugeklebten Rumpf erst nach 14:00 (!) starten, man hoffte, der Kaltleim sei bis dahin trocken und würde halten! Er hielt!

Dann kam der Tag mit dem grossen Schreck:  der Holländer Theunissen und ich waren mit unseren Skylarks im Warteraum und liessen die Konkurrenz höflich voraus losrauschen, um sie dann von hinten aufzurollen. Die Startlinie war auf maximal 1000 M.ü. Grund zu überfliegen, deshalb warteten wir dahinter mit etwas Überhöhung. 10 Minuten später brauste der Holländer los – ich hintendrein. Aber – da war ein Riesen-Aufwindschlauch unter uns und beim Abstechen unter die Maximal-Höhe waren wir sofort auf oder weit über der roten Geschwindigkeits-Marke. Ich flachte ab und zögerte – da sah ich vor mir bei Theunissen einen Flügelteil wegfliegen und kurz darauf ein Trümmerfeld nach unten fallen, mitten drin ein Fallschirm –   Gottseidank! Er „landete“ exakt auf der Start-Linie (immerhin).

Seither stehen mir bei Maximal-Geschwindigkeit rot und Turbulenz immer die restlichen Haare zu Berg!

Die Navigation war schwierig, in der grünen weiten flachen Pampa hatte es „nichts“, kaum Strassen, wenige Weiler und von Zeit zu Zeit eine Baumgruppe bei den Estancias. So flogen wir halt gen „Irgendwo“ und fast alle machten einmal eine einsame Aussenlandung: „Olé, aqui estamos, Caballeros!“.

Das war aber speziell: spätestens auf ca. 300 M.ü. Grund wählte man sich die grösste Baumgruppe in der Nähe aus (grösste Baumgruppe – grösste und beste Estancia) und landete möglichst nahe an einer Häusergruppe, wo man dann fast immer übernachten musste, denn das Rückholen geschah meist am nächsten Tag. Nachdem man sich auf spanisch mit dem freundlichen Estanciero verständigt und erklärt hatte, dass man nicht vom Mond sondern nur aus „Suiza“ hergekommen sei, wurde man sofort zum Assado-Mahl eingeladen und romantisch untergebracht. Hablas Castellan?

Am nächsten Morgen sass ich längere Zeit bei meinem einsamen Flieger in der Pampa. Mit einem Taschenspiegel in der Hand lauschte ich angespannt, bis ich weit oben ein Motorengebrumm hörte, und ich spiegelte so lange verzeifelt, bis einer der Rückholer mich entdeckte, das Gas reduzierte und bei mir landete. Das war eben die Zeit vor dem Bordradio! Der Estanciero wurde im Flügelhalten instruiert und los gings im Schlepp, gen Junin. Erst da entdeckte ich, dass der liebe Motorpilot von Schleppen und Navigation keine Ahnung hatte. Auf 100 M. über Grund (!) ging es mit Maximal-Geschwindigkeit gen Norden. Von dieser Höhe aus sah man natürlich nicht in die Weite, und trotzdem realisierte ich nach etwa einer Stunde, dass wir wahrscheinlich gerade querab an Junin vorbeiflogen. Radio hatten wir wie gesagt keines, sodass ich schliesslich verzweifelt voll ins Seiten-Steuer trat, um dem Schlepper seinen Schwanz so herumzureissen, dass es nach Osten anstatt weiter nach Norden ging. Nach einem halben Luftkampf liess sein beherzter Widerstand schliesslich nach und ich „führte“ uns doch noch nach Hause.

Fazit der Meisterschaft: Wir Schweizer waren meist im Mittelfeld – unsere Maschinen waren für die starke Thermik zu langsam und mir zum Beispiel unterliefen mehrere Anfängerfehler, die mich schliesslich auf Platz 15 brachten. Niet wurde 21. und Ruedi Hächler Elfter in der Standard-Klasse. Dafür gelang mir eine Verbesserung des 100 km – Dreieck-Schweizerrekords.

Aber gelernt und erlebt hatte ich eine ganze Menge – Olé !

England!

Als Schweizermeister durfte ich 1965 nochmals an eine WM, diesmal nach England, wo wir auf der RAF-Basis South Cerney im Südwesten Englands antraten. Ich konnte mit dem Prototyp der Standard-Elfe, eines der ersten Kunststoff-Segler starten. Er gehörte unserem Club-Mitglied Ernst Dünner, der sehr um seine Elfe bangte. Das Training absolvierte ich hauptsächlich auf Convair-Metropolitain der Swissair und auf DH 100- Vampire-Jägern der Schweizer Flugwaffe. Fürs Segelfliegen reichte die Zeit einfach nicht auch noch. Dabei kam mir vor allem jedoch das Fliegen im engen Vierer- und Zwölfer-Verband zugute, wie sich später zeigen wird. Und da war ja noch die Trainingswoche vor den eigentlichen Weltmeisterschaften.

Markus Ritzi

Der Prototyp der Standart-Elfe mit dem markanten V-Leitwerk, mit dem Markus Ritzi an der WM in Argentinien teilnahm.

South Cerney war ein riesiges Feld ohne Hartbelag-Piste, alle Schlepper waren Chipmunks der Royal Airforce, mit tollen Piloten, die Organisation straff und perfekt. Die Schweiz war durch Housi Nietlispach (offene Klasse) und Urs Bloch (K-10) und mir in der Standard-Klasse (15 m) vertreten.

Ich hatte mir auf dem Flugplatz einen eigenen Wohnwagen gemietet und konnte mich nachts ins kleine, private Kämmerlein zurückziehen, was meiner Psyche sehr gut tat, denn die wurde in der Folge strapaziert.

Am ersten Wettkampf-Tag kamen kurz vor dem Start einige Herren mit einem langen Messband zu mir und massen „meine“  15 m-Flügel. Meine Elfe hatte 15 m und 1 cm! Das erschütterte meinen tollen Hilfsmann Fredy Weber nicht, er nahm eine Handsäge und sägte den „vorigen“ Centimeter Laminat einfach roh ab – voilà!

Markus Ritzi

Den abgesägten Zentimeter vom Flügel der Elfe hat Markus Ritzi heute noch!

Südwest-England war im Juni noch kühl, feucht und die Thermik eher schwach und ging nicht sehr hoch. Es bildeten sich schon in der Trainings-Woche riesige Flugzeug-Pulks, die natürlich von weither sichtbar waren. Was tun?

Es lohnte sich bei Rennen, den Start ein wenig zu verzögern und dann von hinten heranzubrausen und sich im Pulk hochzukämpfen, indem man den Konkurrenten seine Flügelspitzen freundschaftlich ins Cockpit streckte, wie man das in der Militärfliegerei gewohnt ist. Die meisten liebten das nicht sehr und machten höflich Platz – merci beaucoup Monsieur! Das kam mir am zweiten Wettkampf, einem Dreieck-Rennen über 150 km, zu Gute und ich gewann in der Standard-Klasse. Nun war ich unerwartet plötzlich Dritter im Gesamt-Klassement und der Druck stieg gewaltig.

Der verrückteste Tag meines Lebens

Dann kam der verrückteste Tag meines Fliegerlebens:

Die Organisatoren hatten die Auflage, einen Tages-Wettbewerb als „Freien Streckenflug“ auszuschreiben“. Sie taten das nicht gern, da in Argentinien bei dieser Uebung mehrere Piloten über 700 km weit geflogen und erst nach drei Tagen wieder heimgeholt waren und man neu starten konnte. Also warteten die englischen Organisatoren auf einen Tag mit „schlechtem“ Wetter, damit das nicht wieder geschah.

Er kam: Warmfront-Aufzug mit tiefem Stratus, leichtem Westwind und schwacher Thermik. Wolkenflug erlaubt !

Meine Elfe stand in der zweiten Start-Reihe, vor mir die Engländer. Plötzlich erklangen ärgerliche Rufe und vor mir wurde diskutiert: Die Franzosen protestierten, weil sie vorne sein sollten.

Markus Ritzi

Ich bekam das nur sehr gedämpft mit und war immer noch am werweissen, wie ich am besten fliegen sollte – es blieb nur: allgemeiner Kurs Nord und ja nie übers grosse  Wasser geraten! Ich spazierte neben den flugbereiten Seglern auf und ab, da sah ich plötzlich, wie die Flugzeuge vor meiner Elfe weggeräumt wurden. Eine Gruppe Leute kamen zu mir, sagte kurz:  „you go first!“  ergriffen mich, steckten mich in meine Elfe und während ich versuchte, meinen Fallschirm und die Gurten anzuschnallen, hatten sie eingeklinkt und mein Flugzeug schoss nach vorn. Ich wurde nach hinten gedrückt, die Steuer konnte ich nicht erreichen und schon hob die Elfe ab und stieg steil wie ein Drache nach oben, ohne dass ich etwas tun konnte.

Eigentlich hätte ich in dieser Lage abstürzen sollen, aber es war noch nicht „mein Tag“. Ich realisierte, dass „man“ das  Seil in die Schwerpunkt-Klinke geklinkt hatte und ich kämpfte mit aller Kraft, den Knüppel oder die Klinke zu erreichen. Ich bekam mit, dass die Chipmunk-Schleppmaschine tief unter mir flog, und dass ich ihr den Schwanz hochzog. Sie verschwand unter mir und plötzlich wurde es ruhig, ich warf mich nach vorn und kämpfte um mein Leben. Es gelang mir, die Nase schnell aber ganz fein zu senken (ich war ganz nahe am Abkippen) und mit einem letzten Blick sah ich die Trümmer meines Schleppers unter mir am Boden, bevor ich mit zitternder Hand mein Flugzeug weit vorne ins Gras setzte.

Der Schlepp-Pilot war verletzt, aber nicht lebensgefährlich. Das Schlepp-Flugzeug war ein Totalschaden! Man holte mich zurück, ich war im Schock – und als ich wieder zu mir kam, war die ganze Meute im grauen Himmel verschwunden. Es hatte nur noch ein Segelflugzeug in South Cerney – meines! Langsam dämmerte mir, dass ich entweder die Welt-Meisterschaft aufgeben oder jetzt trotz allem starten und in diesen grauen Himmel steigen musste. Es war mir überhaupt nicht drum.

Ich tat es, als ich im Funk vernahm, dass meine beiden Schweizer Kameraden im Blindflug vorsichtig unterwegs waren. Bald war ich wieder oben und sah, dass man auf ca. 700 m Grund in schwacher Thermik in die Wolken steigen konnte. Immer wenn es stieg, legte ich die Elfe fein auf ca. 30 Grad Querlage auf dem künstlichen Horizont in die Kurve und wartete, bis der Schlauch ein paar hundert Meter weiter oben fertig war. Dann Kurs Nord und warten, bis es wieder stieg. Es war grau, einsam und unheimlich! Ich wusste ja, dass in diesem Grau noch etwa hundert Kameraden drehten und  suchten und kämpften. Das tröstete mich nicht wirklich.  (Die englische Flugverkehrsicherung entschloss sich in diesen Minuten, sämtliche Verkehrsflugzeuge in Zentral-England für einige Stunden am Boden zu behalten, soviele unbekannte Echos waren in ihrem Radar zu sehen).

Da meldeten sich Housi Nietlispach und Urs Bloch: sie seien etwa 100 km im Norden und müssten jetzt landen. Sie kamen auf ca. 700 M.ü. Grund aus den Wolken und landeten problemlos.

Ich flog eine, zwei Stunden weiter Kurs Nord und machte mir grosse Sorgen, der mir unbekannte Westwind blase mich unterdes weit nach Osten und ich käme irgendwann über einer grossen, einsamen und tödlichen Wasserfläche aus den Wolken. Aber irgendwann ergriff mich ein 1,50m/s Schlauch und es ging höher als bisher. Ich kurbelte wild und eng und stieg, 1500 m, 2000 m, und plötzlich wurde es hell und ein kleines Thermik-Türmchen katapultierte mich heraus in einen blauen Himmel, unter mir eine grosse weisse Wolkendecke! Ich realisierte, dass die Front nicht sehr aktiv war, Zirren hatte es keine darüber. Also Kurs Nord und weiter!  Die Wolken schluckten mich bald wieder auf, und drei weitere Stunden hielt ich mich drin, aber ich machte mir immer grössere Sorgen, was ich wohl unten antreffen würde. Land oder Wasser?. Der Funk war schon lange tot und ich war der einsamste Mensch weitherum.

Wo waren meine Hundert Kameraden, mit denen ich den Himmel teilte und die ich doch nicht sah? Jetzt war es sicher ein Vorteil, mehr als eine Stunde später gestartet zu sein. Die waren hoffentlich über alle Berge!

Drehen – zentrieren – sich Sorgen machen – dann geradeaus und dasselbe noch hundert mal. Langsam wurden die Thermik-Schläuche schwächer und ich näherte mich der mir unsichtbaren Erde.

Plötzlich liessen mich die Wolken fallen und ich kam heraus in einer düsteren, mir gänzlich unbekannten Landschaft:  Weite, dunkle, moorige Felder, links in einiger Distanz ein kleines Dorf, ein Kirchturm zeigt mir 1705 an, flacher Boden ca. 500 m unter mir. Ich beschloss, jeden Meter Distanz mitnehmen und zu warten, bis die Erde zu mir „hinauf“ kommen würde!

Dies zeichnete sich ab, als ich plötzlich vor mir eine typisch englische Hecke gewahrte, und mitten in der Hecke ein weite Lücke – und dahinter, ich glaub ich träume – eine breite, unendlich lange Hartbelag-Piste!

Et voilà – Landing in style at Her Majesty‘s Royal Airforce Leeming Base!

Ich rollte ins Gras und wurde bald von einem Jeep und einer freundlichen Crew begrüsst und in die Officers-Messe gebeten.

Markus Ritzi

Man bewirtete mich bestens (die lokale Piloten-Schule hatte heute Brevetierungs-Feier und ich war ganz allein in dieser „heiligen“ Halle bei Stake und Frites und gutem Wein). Mein guter Fredy Weber holte mich um Mitternacht zur langen Rückfahrt ab und brachte mich sicher nach South Cerney zurück.

Ich war in dieser „Suppe“ rund 300 km geflogen, und wurde Teil einer Spitzengruppe von 5 Piloten, die ganz nahe von einander, innerhalb 10 km gelandet waren, ohne dass man sich je gesehen hatte.

What a day !

Das brachte mich auf Gesamtplatz 2, den ich in der Folge hartnäckig verteidigte und damit die erste Segelflug-Silbermedaille in die Schweiz brachte.

Leander Markus Ritzi

Markus Ritzi