Vorabendliche Vorbereitungen

Mittwochabend: “Was, eine ganze Zahnbürste?! Brich den Kopf ab, das genügt.” Dieser Hinweis von Rolf trifft das Wesen des WaSeFlu (= Wandersegelflug) genau. So üben wir uns am Vorabend des Auffahrtswochenendes einerseits in Hygiene-Minimalismus, studieren aber die langfristige Europa-Thermikvorhersage umso grosszügiger. Südfrankreich oder sogar die Pyrenäen stehen zur Diskussion – Mistral und heranziehende Fronten sprechen eher für den Osten. Michi und Rolf holen das letzte aus dem TopTask heraus aber wir vertagen die Entscheidung auf den nächsten Morgen und verzurren lieber unsere Mini-Schlafsäcke im Knieraum des Arcus und
Duo Discus.


Donnerstag: Die Wettersituation hat sich geklärt, der Osten ist angesagt! Der F-Schlepp um 11:40 zum Schluchsee lässt Michi und mich im Duo nach dem Ausklinken etwas ratlos zwischen tiefhängenden Fetzen nach einem Weg suchen. TopTask hat das anders gesehen! Endlich tut sich hinter einem Wolkenvorhang das erlösende Bild der ersten Wolkenstrasse Richtung Schwäbische Alb auf und wir starten durch. Der Arcus mit Rolf und Heinz hat uns bald eingeholt und von nun an geht es deutlich entspannter und zunehmend optimistisch nördlich der Donau in Richtung Ulm, Ingolstadt und Regensburg.

Die Schwäbische Alb in Hochform

Böhmisches Braunkohlerevier

Dort biegen wir nach Norden ab und erreichen den Oberpfälzer Wald noch rechtzeitig vor dem Zusammenfliesen der grösser werdenden blauen Löcher. Eindrucksvolle Aussichtstürme markieren noch immer den ehemaligen eisernen Vorhang zu Tschechien und wir fliegen in Böhmen ein. Kurz vor Karlsbad treffen wir auf unsere erste TMA (Karlovy Vary). Die Freigabe ist kein Problem und wir kreisen lange über den eindrucksvollen Braunkohlerevieren die offenbar ideale Spätthermiklieferanten sind.

Wir erreichen das Erzgebirge, aber jetzt ab 18 Uhr beginnt die Thermik nachzulassen und wir diskutieren am Funk über mögliche Zielflugplätze. Weiter nordöstlich im Erzgebirge gibt es nur wenig Optionen, so biegen wir über Klingenthal (der ehemaligen DDR Schispringerhochburg) Richtung Westen ab und erreichen im langen Gleitflug kurz vor 7 Uhr den oberfränkischen Flugplatz Ottengrüner Heide der sich perfekt hinter Windrädern versteckt. Der Platz ist fest in der Hand der Jugendgruppe die sofort beginnt, die Flugzeugunterbringung zu organisieren. Wir bekommen sogar einen Pyjama für den Duo und bugsieren den Arcus zentimeterweise in den Hangar West. Danach ist Grillparty-time und natürlich diskutieren wir über das Thema No. 1 – Segelfliegen, Flugzeugpark, Anrainerkonflikte, Infrastrukturelles, Umgang mit Behörden und Budget (ganz der Vorstand!). Wir übernachten mit echtem Schikursfeeling in Stockbetten im Jugendraum und organisieren am Morgen mit einem Ottengrüner Streckflugkollegen das Frühstück. Oberfränkische Spezialitäten für Spezialisten: roter Pressack!

die neue deutsche Staatsmeisterin hilft mit

geselliges Frühstück

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Freitag: Der Durchzug einer Störung ergibt einen Ruhetag und wir nützen ihn mit einem Taxiausflug nach Hof. Der Fahrer “Klaus 17” überlegt lange, bis ihm als Hofer Top-Institution der “Wärschtlamo“ einfällt. Wir sind etwas skeptisch aber bei mir kommen beim Anblick des Angebots Heimatgefühle auf: Debreziner, Krakauer, Bauernwärscht, Wienerla! Wir sind im Wärschtparadies – und wir wären nicht in Bayern, wenn es nicht auch hervorragendes dunkles Weizenbier gäbe.

 


Samstag: Der Segelflugbetrieb beginnt gemütlich um 10 Uhr mit einem Briefing vom Chef persönlich während sich im Hintergrund fantastische Kumuli aufbauen. Die alten Hasen raten, nicht ganz nachvollziehbar, vom Erzgebirge ab, aber wir haben trotzdem vor, erst einmal nach NO in Richtung Dresden auszuholen.

Arcus und Duo am Flugplatz Ottengrüner Heide (Oberfranken)
Die Cumuli in Richtung Erzgebirge sollten nicht halten, was sie versprachen

Die alten Hasen sollten Recht behalten, die perfekten Cumuli im Erzgebirge erweisen sich als Attrappen und wir kämpfen 1 h zwischen Zwickau und Chemnitz bevor wir entnervt Richtung Thüringer Wald umkehren. Dort geht es deutlich besser und wir peilen optimistisch die Wasserkuppe in der Rhön an. Leider ist es mit dem Dahingleiten an der Basis bald vorbei und es breiten sich am Nachmittag in der Ebene wieder die gefürchteten blauen Löcher aus. Wir beschliessen, die Rhön auszulassen und direkt nach Süden abzubiegen. Die Luft im Main-Becken ist jetzt schon verdammt ruhig, doch Heinz gelingt es, über einem kleinen Wald im Blauen etwas auszugraben während tief unten die Orchideen den Wasserballast ablassen. Ein erhebender Anblick! Es wird jetzt wieder von Minute zu Minute besser und wir kommen in einer neuen Luftmasse rasch und in komfortabler Höhe voran. Wir umfliegen Nürnberg westlich und drehen nach Osten zum langen Endanflug auf Beilngries im Altmühltal. Dort rollen wir kurz nach 7 Uhr direkt vor dem Campingplatz im perfekt getrimmten Rasen aus und werden sogleich von einer Herrenriege begrüsst. Welch ein Unterschied, das Durchschnittsalter ist etwa 3x so hoch wie in Oberfranken. Wir bekommen zwei Wohnwagenantiquitäten zugewiesen und lassen den Tag auf der Terrasse des Clubrestaurants ausklingen. Das Zigeunerschnitzel (auf Rolfs Anregung mit Kässpätzle als Beilage – und natürlich mit Weissbier) bringt uns an die Kapazitätsgrenze – wir schlafen wie die Steine.


Sonntag: Strahlend blau, und TopTask legt uns den Bayrischen Wald nahe. Die Beilngrieser Fliegerkollegen habe für frische Semmeln gesorgt, um 11 zeigen sich die ersten zaghaften Kumuli, der Schlepppilot erklärt uns noch schnell die Standartabflugpunkte und um 11:30 geht es los. Wir klinken über einem Windpark und studieren die Windrichtungen. Es stimmt wirklich – Windräder sind perfekte Auslösepunkte mit Richtungsanzeige. Wir fliegen entspannt nach Norden zwischen Nürnberg und dem Truppenübungsplatz Hohenfels in die Oberpfalz.

Herzensangelegenheit eines bayrischen Fliegerkollegen

Richtung Bayrischen Wald werden die Aufwinde dann seltener doch ein Glückstreffer im Blauen bringt uns entspannt zum Anschluss in die Berge. Dort geht es richtig los, die Wolkenstrassen ziehen gewaltig auf 2500 m bis uns ein Gewitter den Weg versperrt. Wir flüchten nach Süden in die bayrische Ebene und müssen uns wieder mühsam hocharbeiten. Michi und Heinz im Arcus haben die bessere Ausweichroute im Norden über Tschechien gewählt und ersparen sich die Zwangspause. An der österreichischen Grenze erreichen wir endlich wieder die Basis bei 2800m (die Österreicher wissen eben, was sich gehört!). Von dort gleiten wir Richtung Osten ins Mühlviertel und beschliessen unter der letzten Wolke vor Linz wieder Richtung Niederbayern umzukehren. Unser Plan ist möglichst weit Richtung Alpen ins Flache voranzukommen und wir nehmen Kurs auf Passau. An der Grenze erwischt Rolf den letzten Schlauch des Tages, der uns noch einmal auf 2200 m bringt und wir gleiten jetzt völlig ungestört von jedweglicher Thermik über den Zusammenfluss von Inn und Donau Richtung Altötting. Am Funk sprechen wir uns ab, der ursprünglich Plan, näher an die Voralpen bis nach Königsdorf zu kommen, wird verworfen und wir landen in Pfarrkirchen in einer niederbayrischen Bilderbuchlandschaft. Wir werden sofort freundlich begrüsst, im Hangar ist Hochbetrieb, denn die Flugzeuge werden für ein Fliegerlager bereitgemacht. LSZI ist bei den Gastgebern wohlbekannt, denn sie waren am Schupfarter Flugtag und haben sogar unseren Stand besucht (gute Öffentlichkeitsarbeit macht sich also bezahlt!). Die grösste Sorge unserer Gastgeber ist, dass wir verhungern und so fahren wir im Konvoi zum nächstgelegenen Zeltfest wo uns gerade die Blasmusik die letzten Leberkäs-Semmeln weggegessen hat. Trotzdem, jedem seine Mass und dann weiter zur Pizzeria – wir schlafen wieder in Stockbetten wie die Steine.

Montag: Heimflug! Doch zuerst geniessen wir das herzhafte Frühstück, das unsere bayrischen Kollegen samt Flugproviant vorbeigebracht haben. Super – Vielen Dank!

bestens versorgt!

TopTask zeigt für den Weg in die Schweiz zwei Alternativen im Süden, die nördliche Variante über die Schwäbische Alb ist wegen der aktiven militärischen Gebiete ein zu grosser Umweg mit schwachen Steigwerten. Also bereiten wir uns auf einen langen, aufwindlosen Anflug auf die Tiroler Alpen vor. Pünktlich um 10 Uhr erscheint der Schlepppilot und wir machen uns auf den motorunterstützten Weg Richtung Chiemsee. Nach dem Passieren der 15 km Lücke zwischen den Salzburger und der Münchner Lufträumen gleiten wir zum Alpennordfuss, wo sich schon länger die ersten Wolken zeigen. Sie funktionieren auch und wir arbeiten uns an einem Rücken hoch bis wir den Wilden Kaiser aus einer ungewohnten Richtung vor uns sehen. Der Alpennordrand ist gut entwickelt und wir kommen zügig Richtung Füssen voran. Eine grosse Frage steht nun an: Weiter ins Allgäu und dann irgendwie um den Bodensee herum oder weiter nach Süden ins Engadin? Die Optik nach Südwesten ist zu verlockend und es ist leicht, Konsens am Funk zu erreichen. Wir queren das Inntal nun dreimal, bei Landeck Richtung Ischgl, dann bei Scuol und schliesslich zum Albulapass stetig steigend bis auf 3800m.

Bernina-Gruppe mit Heiligenschein

Ein fliegerischer Genuss mit herrlichem Ausblick! Von nun an ist Fricktal-Schupfart im LX eingeloggt, aber der direkte Weg sieht hinter dem Walensee Richtung Zürich etwas überentwickelt aus. Wir fliegen also weiter das Rheintal hinauf um dann weiter im Westen nach Norden abbiegen zu können. Der Plan geht auf und wir kommen bequem über den Oberalpstock im Konvoi zum Vierwaldstättersee. Jetzt beginnt der Funkverkehr mit Buochs und Emmen. Minutenlanges Warten bis endlich eine Funkpause für unser Request möglich ist. “Maintain altitude!” Rolf erklärt, dass ein Segelflugzeug mit 300ft/min absinkt, also “stay above 6000 ft” – das geht sich knapp aus. Eine Regenfront ist kurz vorher durchs Mittelland gezogen, also McCready auf 0.0, Mückenputzer aktivieren und hoffen – Nichts! Der Steinbruch am Birrfelder Hausberg täuscht ein paar Zentimeter vor, aber das reicht nicht. Also nochmal der Motor für die paarhundert Meter über die Krete und wir gleiten nach Schupfart auf den menschenleeren Flugplatz. Rolf und Michi im Duo setzen kurz nach uns auf und WaSeFlu reloaded 2019 ist bei einem Bierchen vor dem Hangar Geschichte.